WWF2000
Anmerkungen zu den Shows der World Wrestling Federation (2000)

 

Wrestling wird zelebriert. Die Show, die eine Wrestling-Veranstaltung zweifellos ist, stellt eine Art Gottesdienst dar. Doch es ist ein heidnischer Gottesdienst, und verehrt werden keine fernen Götter sondern Halbgötter, die auf die Erde herniedergestiegen sind. Das Publikum ist die Gemeinschaft der Gläubigen, das seine Götter bzw. Halbgötter, die Wrestling-Stars, verehrt und anbetet. Diese Halbgötter in Gestalt von Herkules, Atlas, Prometheus oder anderen Helden der Antike, stehen meilenweit über dem Publikum und sind sich dennoch nicht zu schade, ab und zu in die Menschenmenge zu tauchen. Ehrfürchtig versuchen einzelne, ihre Halbgötter zu berühren, fast so, als hofften sie, daß so etwas von der Kraft der Helden auf sie übergehen möge.

In Zeiten immer größeren Skeptizismus gegenüber dem Glauben an Gott gewinnen andere Formen des "Gottesdienstes" an Bedeutung. Der Mensch braucht Götter, wie schon die Philosophen des 19. Jahrhunderts entdecken mußten. Er braucht die Anbetung von Mächten, die größer sind als er, damit er, falls sich die Mächte gnädig zeigen, eine Chance hat, gegen die ihm feindlich gegenüber stehende Welt zu bestehen. An die Stelle Gottes tritt der Star, an die des Gottesdienstes die Versammlung, um dem Star zu huldigen. Darin ähneln sich Pop-Konzerte und Wrestling Shows. Auserwählt ist jener, der in der ersten Reihe steht, und seinen Star flüchtig berühren kann. An den "Reliquien-Kult", der auch beim Wrestling betrieben wird, ebenso wie bei Konzerten oder beim Baseball, sei lediglich erinnert. Wenn ein Objekt wie der Ellbogenschoner des "Champions des Volkes" in die Menge geworfen wird, reißen sich die Fans darum.

Was im Ring, der sich aus der Mitte des Saales wie ein kleiner Olymp erhebt, abspielt, ist der uralte Kampf zwischen Gut und Böse. Sympathien sind meist eindeutig verteilt - zumindest beim Hauptkampf. Diese Sympathien richten sich keineswegs nur nach den persönlichen Vorlieben des einzelnen Zuschauers. Vielmehr sind sie schon im Vorfeld festgelegt. Durch ihr Auftreten und ihr Verhalten den anderen Wrestlern und dem Publikum gegenüber bestimmt sich selbst, wer als gut und wer als böse gelten will. Daß dahinter wohl nichts anderes als knallhartes Vermarktungsbusiness steckt, darüber braucht das Publikum nicht nachzudenken oder es zur Kenntnis zu nehmen. Man setzt ohnehin auf Emotionen. Denken ist hier fehl am Platz.

Wöchentlich, ja sogar mehrmals in der Woche spielt sich eine eigentlich immer gleiche Sache ab. Das Geschehen im und um den Ring ist ritualisiert. Wie im christlichen Gottesdienst weiß man, was geschieht, kennt man die Formeln. Gemeinsam intoniert man Beleidigungen und spricht bestimmte sich in fast jeder Show wiederholende Sätze mit.

Auf der Bühne, immer wieder mit den durch entsprechende Gesten unterstrichenen Worten "in this very ring" beschworen, spielt sich nie etwas Neues ab: Die Guten kämpfen gegen die Bösen. Mit Fairness müssen die Wettkämpfe daher nicht viel zu tun haben. Manchmal gewinnen denn die Guten, manchmal die Bösen, und oft wird das Gute um den verdienten Sieg betrogen. Daß das Gute zuletzt triumphiert, wird von Zeit zu Zeit bestätigt. Selbst wenn es dem Bösen unterliegt, bekommt es immer wieder eine Chance, ausgleichende Gerechtigkeit wiederherzustellen, wenngleich manchmal erst nach dem eigentlichen Kampf. Das Publikum feiert den Sieg seiner Helden.

King of the Ring 2000

Konfrontation im Ring: Triple H und The Rock
King of the Ring 2000
© WWFE

Was gefeiert wird, ist auch die Männlichkeit. Das Publikum spiegelt, was im Ring vorgeht, denn es setzt sich hauptsächlich aus Männern zusammen, d.h. erwachsenen Männern, männlichen Jugendlichen und kleinen Söhnen auf dem Arm ihrer Väter. Die Stars des Wrestling sind ebenfalls vorwiegend männlich, obwohl es einige wenige Frauen gibt, die es bis in die interessanten Kämpfe der WWF geschafft haben. Den Hauptkampf jedoch bestreiten sie nie aktiv. Ihre Rolle ist dort sehr weiblich, denn mit (angeblicher) weiblicher List und Tücke lenken sie den einen oder anderen männlichen Kämpfer ab. Darum können ihnen kaum unbestreitbare Sympathien gelten. Sie stünden ja auch dem Kult der Männlichkeit im Wege.

Sinnlichkeit ist auch ohne das weibliche Element im Spiel. Der durchtrainierte Körper, feucht von Schweiß und glänzend, zieht alle Blicke auf sich. Es ist eine objektbezogene und damit im Grunde fetischistische Sinnlichkeit. Es geht nicht um den Menschen, der sich zweifellos unter den Muskeln verbirgt. Insofern kann man getrost mögliche homoerotischen Komponenten, die diese Feier männlicher Leiblichkeit implizieren könnte, vernachlässigen. Trotz des Schweißes und manchmal sogar trotz etwas Blut wird die "böse" niedrige Sexualität nach Möglichkeit negiert. Körperbehaarung gibt es in den allerhöchsten Riegen des Wrestling nicht. Sauber und darum sexuell auch irgendwie steril wirken die Kämpfer. Da waren die antiken Götter und Halbgötter denn doch potenter.

Natürlich hat man beim Wrestling auch Anleihen beim römischen Gladiatorenkampf genommen. Die Wrestler entsprechen dabei durchaus gängigen Klischeevorstellungen der Gladiatoren als starke Kampfmaschinen, die sich mit allen Mitteln gegen ihren Gegner durchzusetzen versuchen.

Alles dreht sich um Urgewalt - ganz im Gegensatz zu alltäglicher Gewalt stehend. Mit einem Feuerwerk beginnt die Show. Blitze und Feuer stehen am Beginn einer wöchentlich neu vollzogenen Schöpfung, bevor aus dem Dunkel der beleuchtete Ring hervortritt. Erst danach kann der Auftritt der Wrestling-Stars erfolgen. Die Götter betreten die frisch erschaffene Welt. Ihr teilweise extrem ausgebildeter, männlich-muskulöser Körper steht im Mittelpunkt der Faszination. Diese Urbilder von Kraft orientieren sich wiederum an der Antike, die die Statuen der muskelbepackten Götter und Helden überhaupt erst hervorbrachte. Man betrachte dahingehend die Zuschauer der Wrestling-Veranstaltungen: Da finden sich durchtrainierte Körper eher selten. Oft genug jubeln gerade besonders schmächtige Jugendliche am lautesten...

Trotzdem sind die Helden und Halbgötter erschreckend menschlich. Das verbindet sie aber erst recht mit der Antike. Die Götter des griechischen oder römischen Pantheons hatten zwar unbestreitbar Macht über die Geschicke der Welt und ihrer Bewohner, in ihrem Benehmen glichen sie jedoch nur allzu oft verzogenen Kindern. Ihren Emotionen ließen sie freien Lauf, oft genug zum Leidwesen der Menschen. Genau diese unbeschränkte Emotionalität zeichnet die Wrestling-Shows aus. Zwischen einzelnen Kämpfern und Gruppen werden Freundschaften geschlossen, Feindschaften besiegelt und gepflegt. Haß und Liebe werden offen vorgeführt. Wie echt die Gefühle sind...? Spielt das eine Rolle, wenn die Zuschauer diese Gefühle mit durchleben dürfen! Zumal die Shows, die quer durch die Bundesstaaten der USA und von Stadt zu Stadt ziehen, eine fortlaufende Geschichte erzählen. Zusammengesetzt mag sie aus Einzelschicksalen sein. Allianzen kommen und gehen, aber die Geschichte vom guten Herkules oder dem Menschenfreund Prometheus, der sich gegen die Übermacht der anderen Götter auflehnt, bleibt bestehen. Attraktiv sind beide Seiten, bewundernwert in ihrer Kraft und Ausdauer. Man kann sicher sein, selbst wenn der Gute zuletzt doch erschöpft liegenbleibt, unterlegen wird er dem Gegner nicht lange sein. Spätestens in knapp einer Woche steht er erneut da, um den Kampf gegen die Bösen wieder aufzunehmen. Das Publikum freut sich und geht - nichts ahnend vom Katharsis-Effekt des ihm vorgeführten Dramas - zufrieden nach Hause.

 

- Text ursprünglich vom 6.-7. Mai 2000 -

© Christine Fößmeier