Der folgende Artikel erschien in fast unveränderter Form, allerdings mit anderen Abbildungen in:
Antike Welt 5/2002, S. 475-480.

 

Der Skorpionkönig

Der Spielfilm Die Mumie kehrt zurück (2001) und seine Bezüge zur ägyptischen Frühzeit

 

Im Grunde kennt das Kino nur sehr wenige Geschichten, die in immer neuen Variationen erzählt werden. Angelehnt an das Schema des klassischen Dramas steigt die Spannung darin nach einer Einführung zum Höhepunkt an, um sich nach verschiedenen Hindernissen am Schluß aufzulösen. Inhaltlich werden in Filmen bevorzugt Mythen variiert. Obwohl Mythen als "Göttergeschichten" gelten, verarbeiten sie vielmehr Grundprobleme des menschlichen Seins. Sie versuchen Antworten auf Fragen z.B. nach dem Ursprung von Leben und Tod, gut und böse zu geben.

 

Die Mumie kehrt zurück

Stephen Sommers' Horror-Komödie Die Mumie zählte 1999 zu den erfolgreichsten Filmen in Deutschland. Die Geschichte ist denkbar einfach: Trotz Warnungen und Verboten wird die Mumie des altägyptischen Hohepriesters Imhotep wiederbelebt, was Plagen auslöst und gar den Weltuntergang heraufbeschwört. Dennoch wird Imhotep besiegt und ins Jenseits zurückgeschickt.

Dramatischer Höhepunkt des Filmes ist die Erweckung der Mumie, nicht der Sieg der Guten über den Vernichtung mit sich bringenden Priester. Auf der mythischen Ebene markiert dies einen Punkt einer längeren Entwicklung: Es geht um die Reise der "Guten" in bzw. durch die Unterwelt. Sie treffen auf den Tod – personifiziert durch die wiederbelebte Leiche – wachsen an der Begegnung und können, nachdem sie gelernt haben, daß nur gemeinsames Handeln sie stark macht, das Gleichgewicht von Leben und Tod durch den Triumph über die Mumie wiederherstellen. Die Unterwelt spuckt die Guten aus, und der Held bekommt die dem Sieger zugedachte Frau.

Der Erfolg der Mumie schrie geradezu nach einer Fortsetzung. Im Mai 2001 kam daher Die Mumie kehrt zurück in die Kinos. Das Strickmuster blieb gleich. Aus dem Gegenüber von Protagonisten und Antagonisten wurde allerdings eine Konfrontation der beiden Gruppen mit einer ultimativ bösen Macht: Imhotep wird erneut auferweckt. Um Macht über die gesamte Welt zu bekommen, bedarf er der "Armee des Anubis". Dazu muß er deren Führer, den Skorpionkönig, besiegen, einen Kriegsherren der ägyptischen Frühgeschichte, der für einen Sieg seine Seele an den Gott Anubis verkauft hatte. Nun ist er ein Mischwesen, halb Mensch, halb Skorpion, und kann letztlich nur mit viel Geschick und etwas Glück überwunden werden.

Zu den mythischen Dimensionen des Filmes gehören erneut das Motiv der Reise und das des Ringens mit dem Bösen – auch und gerade mit dem Skorpionkönig. Typisch für einen Mumienfilm ist das Übertreten eines Tabus: Die Ägyptologin nimmt den Armreif des Skorpionkönigs an sich. Zurück im heimischen London legt ihr Sohn das Schmuckstück an und setzt damit eine Kettenreaktion in Gang, die den Skorpionkönig erweckt und die Apokalypse beschwört. Die Bösen, Imhotep, seine wiedergeborene einstige Geliebte und deren Handlanger, kidnappen den Sohn. Man kehrt nach Ägypten zurück, um mit Hilfe des Armreifes den geheimen Ruheort des Skorpionkönigs zu finden. Erst dort kommt es zum Gefecht um Gedeih und Verderb dieser Erde, und das Monster muß sterben...

 

Historizität und Fiktion

So phantastisch der Skorpionkönig als Halbwesen aus Mensch und Skorpion wirkt, ursprünglich zeigt ihn der Film als Kriegsherren, der die gesamte damals bekannte Welt unterwerfen will. 3067 v.Chr. führt er seine Männer gegen die Stadt Theben. Sieben Jahre dauert die Auseinandersetzung, dann müssen sich die Truppen in die Wüste zurückziehen, wo alle bis auf den Kriegerfürsten sterben. Erst ein Pakt mit dem Gott Anubis bringt dem Skorpionkönig durch die Hilfe der übernatürlichen "Armee des Anubis" den Sieg. Danach zwingt der Gott den Sieger, ihm für alle Zeiten zu dienen. Die Metamorphose des Skorpionkönig wird nicht gezeigt, wohl aber, wie die schakalköpfigen Anubiskrieger zu Staub zerfallen und die großartige Architektur des Alten Ägypten sich in Ruinen verwandelt. Auf diese Weise wechselt der Film in das Jahr 1933, als das (gute) Forscherehepaar Rick und Evelyn den Armreif des Skorpionkönigs ausgräbt. Durch die Entdeckung wird – darauf weist der Film explizit hin – die mythische Gestalt des Skorpionkönigs Wirklichkeit.

Fiktion mischt sich hier mit Realität. Der Kriegsherr Skorpionkönig hat sein Vorbild im Alten Ägypten. Die Zeit, die Sommers für den Kampf gegen Theben gewählt hat, kündet von der Kenntnis dieses Vorbildes, das der Filmfigur seinen Namen gab: König Skorpion. Tatsächlich ahnte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts niemand von seiner Existenz, und selbst heute geben die wenigen Belege Anlaß zu Spekulationen. Wer war König Skorpion?

1897/98 stieß der Ägyptologe James Edward Quibell in Hierakonpolis auf bedeutende Stücke aus der ägyptischen Frühgeschichte. Dort, in einem der ältesten Tempel des Landes fand er eine Reihe von Votivgaben, darunter prächtige Paletten, u.a. die des Königs Narmer, und Keulenköpfe. Keulen stellen ursprünglich Waffen dar. In der Reichseinigungszeit tauchen Exemplare mit größeren Köpfen, die mit Reliefs geschmückt sind, auf. Da solch spezielle Stücke im Tempelareal von Hierakonpolis gefunden wurden, leitete man daraus ihre kultisch-memorative Funktion ab. Ähnliches gilt für die Paletten, deren kleinere Vorbilder im Alltag zum Anreiben von Schminke verwendet wurden.

Die Bruchstücke eines Keulenkopfes zeigen einen Herrscher mit der Krone Oberägyptens. Die vor seinem Kopf angebrachten Zeichen einer (Blumen-?)Rosette und eines Skorpions wurden als hieroglyphische Schreibung seines Namens gedeutet: König Skorpion. Es stellt sich natürlich die Frage nach der Existenz eines Königs namens Skorpion. Daß es bereits 150 Jahre zuvor einen König Skorpion (I.) gab, steht aufgrund (s)eines Grabes in Abydos außer Frage, denn dort fanden sich zahlreiche Krüge, die mit dem Skorpion-Zeichen auf einen solchen Herrscher hinweisen. Die große Bedeutung des Bestatteten läßt sich aus dem Grab selbst erschließen. Nicht nur, daß die Anlage einen Palast nachbildet, in den Vorratskammern fanden sich unzählige Tongefäße. Viele waren wohl einst mit Wein aus Palästina gefüllt. Ein Zeichen gesicherter Handelsbeziehungen zu entfernten Gebieten – 3150 v.Chr.!

Skorpion II. wird v.a. mit der Prunkkeule aus Hierakonpolis verbunden. Weitere Funde sind letztlich nicht eindeutig. Ein anderes Problem stellt die Namensdeutung dar. Dargestellt ist ein Skorpion, unter dessen Körper ein Zapfen zu erkennen ist. Das ist kein lebendig zu denkendes Wesen sondern ein Abbild, wahrscheinlich eine Art Aufsatz in Skorpionform. Ebenfalls problematisch ist die Art der Handlung, die König Skorpion mit der Hacke in der Hand durchführt, vielleicht das rituelle Öffnen eines Bewässerungskanals, eine rituelle Aussaat oder die Gründung einer Stadt. Der Zusammenhang der übrigen Darstellungen im mittleren und unteren Register ist aufgrund der fehlenden Teile nur schwer zu erschließen.

Keulenkopf des König Skorpion

Der Keulenkopf des Königs Skorpion
Ashmolean Museum, Oxford
© Uni-Diaverlag

Möglicherweise handelt es sich um die Widergabe eines Rituals wie dem Sedfest. In Frage kommt auch das sog. "Erscheinen des Königs von Unterägypten". (Vgl. Millet, N.B., The Narmer Macehead and Related Objects, in: Journal of the American Research Center in Egypt 27, 1990, S. 53-59, S. 56f.) Beim Sedfest handelt es sich um einen Ritus, der die Kraft des Königs erhalten bzw. wiederherstellen soll, und der u.a. die Besitzergreifung beider Landesteile durch den Herrscher, sowie den Erhalt der Fruchtbarkeit des Landes symbolhaft zum Ausdruck bringt. Das Entscheidende ist die Handlung: Die Hacke ist spätestens seit den Darstellungen auf der sog. Städte-Palette ein Machtsymbol des Herrschers. Die Aktion des Hackens auf dem Keulenkopf ist nicht nur eine allein dem König zukommende Handlung, sie stellt darüberhinaus die Inbesitznahme des Landes mit seiner fruchtbaren Erde dar, ebenso wie die Eroberung der geographischen Region, d.h. eines Gebietes am oder im Nildelta samt seiner Bevölkerung.

Was die Wahl des Skorpions als Königsnamen betrifft, so wurden Skorpione in dieser Epoche nicht als zerstörerische und damit abzuwehrende Gefahr betrachtet. Sie galten als machtvoll, da sie über das Wohl und das Leben und den Tod der Menschen entscheiden konnten. Deshalb tauchen sie als königliche Schutzmacht auf und wählen Herrscher die Bezeichnung "Skorpion" (neben z.B. "Löwe" oder "Schlange").

König Skorpion gehört zu jenen Herrschern am Beginn der Geschichte des Alten Ägypten, deren Erinnerung im "kulturellen Gedächtnis" (Jan Assmann) der Ägypter bewahrt wird, und die geradezu mythische Qualitäten erlangen. Die frühen Könige vereinten über mehrere Generationen hinweg die autonomen Landesteile zu einem einzigen Staat. Diese Leistung betrachtete man später als eine Art Schöpfungsakt: Aus dem Chaos entwickelte sich eine neue Ordnung, die der König garantierte. Hingegen ging die Erinnerung an Könige wie Skorpion und Narmer mehr und mehr verloren und wurde ersetzt durch die Vorstellung des einen Reichseinigers namens Menes.

 

Krieg?

Friedlich ist es bei der Vereinigung des Landes vielleicht nicht zugegangen. Darin mag Die Mumie kehrt zurück recht haben. Historisch unkorrekt ist die allerdings in der Filmerzählung begründete Darstellung des Krieges gegen die Stadt Theben, zumal dieser Ort in Oberägypten liegt, von wo die zum Zusammenschluß Ägyptens führende Expansion ausging. – Dieser Ort war im späten 4. Jt. v.Chr. noch völlig bedeutungslos. Ebenso wenig wiesen frühgeschichtliche Siedlungen dauerhafte Lehmziegel- und Steinarchitektur auf, ein Umstand, den der Film mit seiner prächtigen Tempelstadt inklusive Pyramide zu gerne vergessen machen möchte.

Was die historischen "Quellen" betrifft, so weist die Prunkpalette des Königs Narmer, des (möglichen) Nachfolgers Skorpion II., auf einer Seite das Motiv des "Erschlagen des Feindes" auf. Es wird sich bis zur Spätzeit Ägyptens tradieren, manchmal den Ausgang realer Feldzüge dokumentieren, generell aber für den Erhalt der Ordnung durch den Pharao stehen. Die Narmer-Palette wurde in diesem Zusammenhang als Geschichtsdokument gedeutet, das den Abschluß der Kämpfe um ein bis dahin unbesiegtes Gebiet im Delta zeigt. Schon spätestens König Skorpion II. war es gelungen, die Bevölkerung des Nildeltas, die "Kiebitz-Leute", zu unterwerfen – wenn man den Angaben der Prunkkeule Glauben schenkt. Tote Kiebitze nämlich hängen im obersten Register des Reliefs von Standarten. Die Art der Darstellung läßt vermuten, daß die Aktionen der Invasoren aus dem Süden nicht unblutig abliefen.

Anlaß zu solchen Spekulationen liefert außerdem die Städte-Palette. Nur zu einem Drittel erhalten weist eine Seite den Zug verschiedener Tiere, nämlich Ochsen, Esel und Widder, auf. Die andere Seite zeigte ursprünglich sieben Stadt-Hieroglyphen, auf denen jeweils verschiedene tiergestaltige Königsmächte hocken. Diese halten Hacken, welche an die Stadtmauern angesetzt sind. Als Lesung wurde die Zerstörung bestimmter, heute nur mehr zum Teil identifizierbarer Städte im Nildelta vorgeschlagen. Auch die Narmer-Palette zeigt auf ihrer Vorderseite das Anrennen eines Stieres, in dem sich der König personifiziert, gegen eine Stadt und einen Feind. Hier wird der Stadtring gesprengt.

Selbst die frühe ägyptische Kunst führt eine ideale Ordnung vor. Ich schlage daher vor, in der Städte-Palette zwar sehr wohl die Eroberung des Nordens durch die Herrscher aus dem Süden zu sehen, jedoch keine konkreten Zerstörungen. Vielmehr wird gezeigt, daß die Könige die Kontrolle über die Orte besitzen und damit die Macht einer potentiellen Zerstörung, sollte man sich ihnen nicht fügen. Da man ja einen Nutzen aus der Eroberung des Deltas ziehen wollte, hätte sich die Verwüstung wichtiger Städte und einer schon vorhandenen Infrastrukur eher negativ ausgewirkt.

Die Städte-Palette wird König Skorpion II. zugeschrieben, da sich unter den Königsmächten mit Hacke ein Skorpion an prominenter Stelle findet. Die Palette weist ihm ein Herrschaftsgebiet bis in das Delta zu. Die Tierreihen und eine beigefügte Hieroglyphe deuten ferner auf Tributleistungen aus dem libyschen Raum hin.

Skorpion II. war folglich ein bedeutender Herrscher. Ob er ein kriegerischer König war, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Wenngleich die Ikonographie der mit ihm verbundenen Objekte nicht so starr wie in dynastischer Zeit ist, führt sie ebenso wie jene eine ideale Ordnung vor, in der Unterägypten an Oberägypten angegliedert ist. Skorpion II. stellt sich an das Ende einer Reihe von Königen, die mehr oder minder ganz Ägypten kontrollierten und sogar Teile des angrenzenden Auslands zu Abgaben heranziehen konnten.

In diesem Zusammenhang sei nochmals auf das obere Register der Skorpion-Prunkkeule eingegangen: Während die toten Kiebitze auf die Eroberung des Deltas hinweisen, verstehe ich die an den Standarten der anderen Hälfte der Keule hängenden Bögen als Unterwerfung von Gebieten im äußersten Süden Ägyptens bzw. im nubischen Grenzgebiet. Da Skorpion im Bildfeld unterhalb der toten, zu Unterägypten gehörenden Kiebitze mit der weißen Krone Oberägyptens dargestellt ist, kann in dem Bereich unterhalb der Bögen eine Darstellung mit der roten Krone Unterägyptens vermutet werden. So umfaßt die Herrschaft Skorpions das ideale Gebiet vom Mittelmeer bis nach Nubien, vom äußersten Norden bis zum äußersten Süden und damit die ideale gesamtägyptische, geordnete Welt. Die Flußlandschaft im unteren Drittel der Keule, in der u.a. eine unterägyptische Kapelle und ein Boot auftauchen, kündet möglicherweise von (rituellen) Umfahrten des Herrschers, der hiermit seine Fürsorge für das Land, besonders gegenüber Unterägypten, ausdrückt.

 

Der Kampf der Guten gegen das Böse

Die Bildwerke Altägyptens sind ordnungskonstituierend, etwas, was sie gewissermaßen mit dem Film unserer Tage gemein haben. Grundlegender Bestandteil der meisten Filme ist die uralte Vorstellung vom Gefecht der Mächte des Guten und der Ordnung gegen die Mächte des Bösen und des Chaos. Die Mumie kehrt zurück formuliert diese menschliche Erfahrung von der "Gespaltenheit der Welt" (in gut und böse). Einerseits ist die Gestaltung des Filmmythos oberflächlich, andererseits wird konsequent auf die Konfrontation mit dem Bösen zugesteuert.

Der Konflikt zwischen den entgegengesetzten Kräften fordert Opfer. Die Gewalt ist notwendiger Bestandteil jedes Filmes, der sich mythischer Darstellungsweisen bedient. Sie macht die Bösen erst böse, während sie gleichzeitig die Gewaltausübung der Guten legitimiert. Ziel der Guten ist die (Wieder-)Her­stellung einer bedrohten Ordnung. Der Einbruch des Chaos in ein stabiles System entfaltet sogar positive Wirkungen, denn er bewahrt die Gesellschaft vor Erstarrung. Der Kampf gegen das Böse erfordert physische und psychische Beweglichkeit von ihren Mitgliedern und deren aktive Arbeit innerhalb des sozialen Beziehungsgeflechts. Zudem existiert während der Auseinandersetzung gegen eine feindliche Macht ein Ventil, aufgestaute, da sonst sanktionierte Gewalt abzubauen.

Die Auseinandersetzung schafft darüberhinaus Identität. Die einzelnen Gruppen definieren sich über ihre Ziele. Erneut ist eine Parallele zum Mythos vorhanden: "Mythen definieren, was feindlich und fremd ist, und indem sie dies beschwören, sagen sie, wer wir sind und was wir wollen, sie erzählen Geschichten, um Struktur und Ordnung zu schaffen." (Warner, Marina, Monster, Wilde, Unschuldsengel. Mythen, mit denen wir leben. Aus dem Englischen von Claudia Preuschoft, Reinbek bei Hamburg 1996, S. 42f.)

Die Mumie kehrt zurück greift – bewußt oder unbewußt – auf die uralten Schemata (der Konstruktion) von Fremdheit und Andersheit zurück und diffamiert damit den Feind. Trotz der anfänglichen Konzentration auf den Skorpionkönig wird dieser als barbarisch und gewalttätig gekennzeichnet, wenngleich er ein hervorragender Kämpfer und starker Anführer scheint, der sein Schwert höchstpersönlich in den Gegner treibt. Aber seine Truppen haben nicht ganz die Finesse der wohlgeordneten Soldaten von Theben. Die Angreifer kommen aus dem Nichts der Wüste, die Angegriffenen aus einer eindrucksvollen Tempelstadt, die es zu verteidigen lohnt. Ihnen, die schwächer wirken als die wilde Horde des Skorpionkönigs, gelingt es, die Invasoren in die Wüste zurückzutreiben. Erst als der Skorpionkönig seine Seele verkauft, kann er Theben besiegen und die Prachtarchitektur niederreißen. Macht- und Rachegelüste scheinen die Motive des Siegers, dessen Untergang eben darin begründet liegt. Fast im gleichen Moment, als die schakalköpfigen Anubiskrieger zerstörend und tötend durch Theben ziehen und der Skorpionkönig sich an diesem Anblick weidet, nimmt ihm Anubis die Seele.

Der wirkliche Unterschied zwischen den beiden Gruppen vor den Toren Thebens liegt in der Figur des Anführers begründet. Der Skorpionkönig wird als muskulöse, geradezu animalische Kampfmaschine charakterisiert. Er ist einer, der zerstört anstatt das Gute zu bewahren, und darum ein Schurke. "Larger than life" ist der Skorpionkönig erst recht "keiner von uns". Gerade das, was ihn auszeichnet, macht ihn dem Publikum fremd, zumal ihn und die Zuschauer zeitliche, geographische und kulturelle Barrieren scheiden: Er ist der 5000 Jahre alte Barbar aus dem Orient. Er entwickelt sich zum schier unbezwingbar scheinenden Mischwesen, zum Monster.

Es ist bezeichnend, daß es weder dem britischen Underdog Jonathan noch dem altägyptischen Bösewicht Imhotep gelingt, den Skorpionkönig zu bezwingen. Erst der Held aus dem Westen, der Amerikaner Rick, kann das Ungeheuer töten. Damit entlarvt sich der Filmmythos als amerikanischer Traum. Bedenkt man, daß Rick und seine englische Ehefrau wiedergeborene, gute Ägypter sind – sie war ehemals eine Prinzessin, er ein Krieger –, wird klar, daß der Westen Erbansprüche an der antiken Hochkultur stellt. Das Erbe besteht aus dem Wissen um die eigenen Wurzeln, einer Erkenntnis, der (angeblichen) Wiege der Zivilisation zu entspringen.

So enthält Die Mumie kehrt zurück Anklänge an den Ursprungsmythos und stellt jeden Menschen an seinen Platz. Das Böse wird ausgegrenzt und ein bestimmtes gesellschaftliches Wertesystem gepriesen: Solidarität, eheliche und elterliche Liebe. Die Machart des Filmes mag modern sein, seine "Message" ist es nicht. Die Botschaft kann gar nicht modern sein, was sich aus der Mythosorientierung des Filmes ergibt. "Denn Mythen nennen wir fundierende Erzählungen, die einen bestimmten gegenwärtigen Status quo in das Licht einer naturgegebenen, oder gottgewollten, auf jeden Fall unabänderlichen Ordnung der Dinge stellen. Auf diese Weise legitimisieren sie den Status quo und schützen ihn vor verändernden Eingriffen. Mythen beleuchten den Ordnungsaspekt des Gegebenen, indem sie ein Wissen um seine Kontingenz, d.h. des auch anders Möglichen, abdunkeln." (Assmann, Jan, Frühe Formen politischer Mythomotorik. Fundierende, kontrapräsentische und revolu­tionäre Mythen, in: Harth, Dietrich u. Jan Assmann (Hg.), Revolution und Mythos, Frankfurt/M. 1992, S. 39-61, S. 39.)

 

Mythos oder Soap Opera?

Ob der historische König Skorpion ein Kriegsherr war oder nicht, er dient dem Film lediglich als Inspirationsquelle für den Skorpionkönig. Es handelt sich um eine Rolle, die nach physischer Präsenz verlangt. Gespielt wird der bösartige Skorpionkönig daher von Dwayne Johnson, besser bekannt als The Rock, denn wer wäre für den Körpereinsatz in groß angelegten Kampfszenen geeigneter als einer der Stars der amerikanischen Wrestling-Szene? Im Ring ist The Rock allerdings der Gute, der sog. "Champion des Volkes".

The Rock im Ring

Triumph im Ring: The Rock
© WWFE (nun WWE)

Diese Besetzung ist interessant, denn auch in den Kämpfen der World Wrestling Federation (WWF) gibt es "gute" und "böse" Charaktere. Muskelbepackt mögen sie an ungezähmte Urgewalten und Kampfmaschinen gemahnen – "Barbaren" wie der Skorpionkönig. Die Fehden sind ritualisiert: Nach mehreren kurzen, manchmal heftigen Konfrontationen der Kontrahenten kommt es zuletzt zu einem geradezu episch breit angelegten Wettstreit. Auf diese Weise zelebriert selbst das Wrestling einen Zwist zwischen Gut und Böse, wobei der Sieg der "Guten" nicht so sicher ist wie im Spielfilm. Doch von Zeit zu Zeit wird sogar in der WWF die "Ordnung" wiederhergestellt, und The Rock darf über seine Gegner triumphieren.

Eine Orientierung am Mythos scheint naheliegend. Tatsächlich folgt man im Sports Entertainment eher den Regeln der Soap Opera. Mythos und Soap Opera haben ähnliche Regeln, da in beiden menschliche Verhaltensweisen und psychische Verwirrungen im Mittelpunkt stehen. In der Seifenoper dominiert das voyeuristische Element. Der Zuschauer ist aufgerufen, nur zuzusehen und nicht nachzudenken. Antworten gibt es hier nicht. Der Mythos hingegen stellt ganz bewußt Fragen und versucht Geschehnisse zu verstehen, sowie Hintergründe aufzudecken.

Der populäre Spielfilm steht zwischen Soap Opera und Mythos, denn wirklich verändert verläßt der Zuschauer den Kinosaal nicht. Der mögliche Katharsis-Effekt bleibt oberflächlich. Die vorgeführten Feindbilder wollen dennoch gewisse Handlungs- und Ordnungsstrukturen oder zumindest den Glauben an die Werte der westlichen Welt vermitteln.

Die wirkliche Leistung von Filmen wie Stephen Sommers' Die Mumie und Die Mumie kehrt zurück besteht darin, neue "Erinnerungsräume" (Aleida Assmann) zu erschaffen, in denen Erkenntnisse und (wenngleich oft nur scheinbares) Wissen gespeichert werden. Sie erwecken die Erinnerungen an Gestalten einer längst begrabenen Vergangenheit wieder. Imhotep und König Skorpion waren dem kulturellen Gedächtnis verloren gegangen bzw. gehörten der kollektiven Erinnerung des Westens nie an. Nun werden sie – wenngleich in anderer Gestalt und anderem Zusammenhang – der Populärkultur des frühen 3. Jahrtausends angegliedert. Schon ein Jahr nach Die Mumie kehrt zurück kommt die Geschichte des Skorpionkönigs in die Kinos...

 

© Christine Fößmeier