Der "Ägyptenfilm"

 

Charlton Heston als Moses

Charlton Heston als Moses, der Ägypter,
in The Ten Commandments (1956)

  "Ägyptenfilm" meint nicht nur die Darstellung Ägyptens, seiner Kultur und Bewohner im Kino oder Fernsehen. Vielmehr geht es um das Alte Ägypten und seine Darstellungsweisen im Historienfilm, sowie in anderen Genres. Dazu zählt auch die Darstellung im neuzeitlichen Rahmen oder sogar im Science Fiction-Film, sofern Gegenstände des Alten Ägyptens betroffen sind.

Der Ägyptenfilm begegnet uns bereits in den Anfängen des Kinos. Georges Méliès, der als einer der Begründer des Mediums gilt, schafft schon 1899 einen Kurzfilm mit dem Titel Cléopâtre. Spätestens nach der Jahrhundertwende von 1900 entstehen weitere Filme, die man ebenfalls als Ägyptenfilme betrachten muß, nämlich solche, die sich mit biblischen Ereignissen beschäftigen, die in Ägypten stattfinden. Dazu zählen v.a. die Geschichten um Moses oder Josef, z.B. Moses und der Auszug aus Ägypten, 1907 in Frankreich entstanden. Ebenso spielen Mumien schon im Stummfilm eine Rolle. Der deutsche Stummfilm Die Augen der Mumie von Ernst Lubitsch aus dem Jahr 1918 ist allerdings kein wirklicher Mumienfilm! Allgemein entscheidend ist, daß das Alte Ägypten in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts und somit von Anbeginn des Kinos und vor der Etablierung des Tonfilms in vielen Genres auftaucht, in denen es auch später noch eine Rolle spielt.

Auch in Deutschland werden frühe Ägyptenfilme gedreht. 1922 entsteht, wiederum unter der Regie von Ernst Lubitsch, mit Das Weib des Pharao ein nicht unwichtiger Beitrag: Es handelt sich um eine tragische Liebesgeschichte, die im Alten Ägypten spielt.

Der König von Äthiopien macht einen Staatsbesuch bei Amenes, dem Pharao von Ägypten. Ein Bündnis soll hergestellt und eine Ehe zwischen der Tochter des Äthiopier-Königs und dem Herrscher Ägyptens gestiftet werden. Doch der Pharao verliebt sich in die Dienerin der äthiopischen Prinzessin, nachdem man diese gefangen und vor ihn geführt hat. Theonis hatte nämlich trotz der Warnungen ihres ägyptischen Geliebten Ramphis das Schatzhaus besichtigt. Da man den jungen Ägypter, der sie dennoch begleitet hatte, töten will, willigt Theonis in die Ehe mit Pharao Amenes ein. Das beleidigt den König von Äthiopien, der hierauf Ägypten den Krieg erklärt. Der Pharao zieht in den Krieg, läßt jedoch Theonis in das Schatzhaus einmauern. Nach einer Niederlage des Pharao, den man als gefallen ansieht, organisiert der Geliebte von Theonis das Heer neu und besiegt tatsächlich die Äthiopier. Ägypten jubelt Ramphis zu und akzeptiert ihn als neuen Herrscher, nachdem er Theonis aus dem Kerker befreit hat. Doch da kehrt der totgeglaubte Pharao zurück und macht seine Ansprüche auf das Land und seine Frau geltend. Ramphis erklärt sich bereit, auf den Thron zu verzichten, wenn der alte Pharao Theonis freigibt. Mit dieser Lösung ist aber das Volk nicht zufrieden. Es steinigt die Geliebten. Auch Amenes stirbt, bevor er den Thron erneut besteigen kann.

Der Film pendelt irgendwo zwischen Ägypten und Berlin, denn in Berlin entstand der Film, und das scheint auf Darstellungsweisen, die Zwischentitel und manches mehr abgefärbt zu haben. Gleichzeitig ist Das Weib des Pharao durchaus am amerikanischen Markt orientiert. Das erklärt bisher nie dagewesene Massenszenen, die noch dazu im Alten Ägypten angesiedelt sind. Angeblich sollen sich die Paläste, Tempel und das dargestellte Theben "auf das Expertenwissen von Archäologen und Museumsherren" stützen, während man gleichzeitig eine Stilisierung ins "Zeitlos-Epochenferne" anstrebte. (Vgl. Brennike, Ilona u. Joe Hembus, Klassiker des deutschen Stummfilms. 1910-1930. Mit Bildern aus Kopien von Gerhard Ullmann und einem Vorwort von Xaver Schwarzenberger, München 1983, S. 86.) So wirkt das Ganze zwar ägyptisch, bleibt aber als Rekonstruktion des Alten Ägypten fraglich.

Auch altägyptische Objekte werden früh als einzelne Elemente im Sinne eines interessanten "Blickfanges" verwendet. Das gilt noch heute: In Scream 3 (1999) sind u.a. Leuchter im Tutanchamun-Design zu sehen. The Haunting (1999) hingegen wartet mit Ziergegenstände, die der Ägyptomanie des späten 18. oder 19. Jahrhundert entstammen könnten, sowie zwei großen Widdersphingen in der Großen Halle des Schlosses auf. Eine weitere Möglichkeit, altägyptische Gegenstände zeigen zu können, besteht darin, Szenen eines Filmes im Museum bzw. in ägyptischen Sammlungen oder Sonderausstellungen spielen zu lassen. Ein neueres Beispiel hierfür stellt The Relict von 1996 dar, ein frühes Beispiel Blackmail, der erste Tonfilm von Alfred Hitchcock aus dem Jahr 1929.

In den 1930er Jahren entstehen mit The Mummy (1932) und Cleopatra (1934) zwei amerikanische Spielfilme, die ihre Wirkung bis heute nicht verloren haben, und an denen sich ihre jeweiligen zahlreichen Nachfolger messen müssen: Boris Karloffs Darstellung des hypnotischen Ardath Beys, des regenerierten Priesters Im-Ho-Tep, bleibt wohl auf immer unvergessen ebenso wie Claudette Colberts Charakterisierung einer mal kindlich-spielerisch tändelnden, mal bewußt ihre ganze weibliche Erotik einsetzenden Kleopatra. Während Karl Freunds The Mummy sich noch direkt auf die Entdeckung des Tutanchamun-Grabes im Jahr 1922 bezieht (schließlich zogen sich die Berichte über die Ausräumung des Grabes fast durch die gesamten 20er Jahre hin!), besitzt die Ägypten-Darstellung in Cecil B. DeMilles Cleopatra die Züge des aktuellen Art Deco-Stils, was besonders deutlich in den Entwürfen der Kostüme und Schmuckstücke Kleopatras wird.

Der Erfolg von The Mummy führte die Universal Studios zur Entwicklung einer Reihe von Mumienfilmen, die auch als Reaktion auf den 2. Weltkrieg zu betrachten sind. Flucht in die ägyptische Traumwelten? Kaum, denn man legte Wert darauf, v.a. billig zu produzieren. Dafür brachte Universal eine ganze Reihe von Sequels um bekannte Horrorikonen wie Dracula, Frankensteins Monster, den Wolfsmann oder eben die Mumie heraus. Man schuf Ablenkung für das Publikum, leicht konsumierbar und mit der Gewißheit versehen, daß das Böse immer wieder besiegt werden kann. Daß die Figuren in ihrer Tragik und dem Bestreben, in weiteren Filmen wieder aufzustehen, sehr viel nachhaltiger auf den Zuschauer wirkten und noch heute wirken als die "Helden", hat einen Hauch von Ironie. Arnold Vosloo, der die Mumie 1999 und 2001 in Stephen Sommers' The Mummy und The Mummy Returns verkörpern durfte, sieht in dieser Begeisterung des Publikums aber auch die Faszination mit der Unsterblichkeit dieser Gestalten.

Nach dem 2. Weltkrieg wird der Ägyptenfilm nicht maßgeblich erweitert, eher im Gegenteil, denn es werden die bereits gefundenen Themen und Motive wieder aufgegriffen. Schon 1946 kommt der erste Kleopatra-Film nach dem Krieg, Cesar and Cleopatra, in die Kinos. Weitere Kleopatra-Filme folgen. Auch Mumienfilme werden produziert - v.a. ab 1959 von den englischen Hammer Studios.

Neu ist zum Teil ein Trend zum Monumentalen, ja zum Monumentalfilm, wie es ihn nur in den 50er und 60er Jahren gibt. Zwar gibt es bereits frühe monumentale Stummfilme (z.B. Cleopatra, 1917, The Ten Commandments, 1923), aber erst jetzt hatte man die Möglichkeiten, die Bilder in ein Zusammenspiel mit Farbe, Musik und Sprache zu bringen. Was aber nicht heißt, daß die späteren Farbfilme damit besser wurden. Es gibt Kritiker dieser Filme, die gerade die Erweiterung durch die Sprache bemängeln - sie sei zu aufgesetzt, da man sich zu einem Kompromiß aus historischem und aktuellen Ausdruck genötigt sah. Andererseits brachte gerade diese Zeit mit ihrer Sucht nach immer größeren und eindrucksvolleren Produktionen eine ganz eigene Art von Filme hervor. Die Rede ist hier vom Historien- und vom Bibelfilm, der in Ägypten spielt, von Monumentalfilmen wie The Egyptian (Sinuhe, der Ägypter, 1954), Land of the Pharaohs (1955) und The Ten Commandments (1956) mit Charlton Heston und oder Cleopatra (1963) mit Elizabeth Taylor. Sieht man einmal von Cleopatra ab, arbeiten gerade die erwähnten, recht erfolgreichen Monumentalfilme mit den amerikanischen Moralvorstellungen der 1950er Jahre. Daß die Alten Ägypter da nicht unbedingt als Helden und Vorbilder agieren können, versteht sich von selbst. So verkommt der Pharao Echnaton zum geistig labilen Prediger, wenngleich auch zum Visionär des "einen Gottes", und der Pharao der Knechtschaft, Ramses der Große, wird zum unbeugsamen und zum moralischen Untergang verdammten Anhänger der Vielgötterei. Selbst die "guten" Ägypter erscheinen in solchen Spielfilmen merkwürdig gebrochen.

Leichtere Kost bieten da schon die britischen Mumienfilme, die ab 1959 von den Hammer Studios produziert werden. Sie beinhalten oft Züge eines allgemeineren Archäologiefilmes, in denen es um archäologische Entdeckungen geht. Das gilt ebenfalls für The Awakening (1979/80), Sphinx (1980/81) und zuletzt natürlich für Raiders of the Lost Ark (1981), das erste Werk der legendären Indiana Jones-Reihe.

Raiders of the Lost Ark sollte den Ägyptenfilm ebenso prägen wie Karl Freunds The Mummy den Mumienfilm. Leider nicht nur künstlerisch. "Böse" Ägypter dienen als Zielscheiben und historisch wertvolle Fundstücke sind manchmal nicht mehr als lästige Steine im Weg des Helden, der sich jedoch Archäologe nennen darf. Die absolute Sorglosigkeit im Umgang mit dem Objekt, sei es das geschichtlich überkommene Artefakt, sei es das zum Objekt degradierte menschliche Subjekt, sollte nachdenklich stimmen - und das gerade wegen des hohen Unterhaltungswerts des Filmes. Ein Trend, der sich seit Raiders of the Lost Ark verstärkt nachweisen läßt.

Das Alte Ägypten gerät in den letzten Jahren mehr und mehr zum filmischen Blickfänger und Aufhänger. Zwar scheinen Rekonstruktionen mittlerweile gerade aufgrund neuer und besserer Technologien, insbesondere durch den Einsatz computergenerierter Bilder, eher machbar als früher, doch Historizität wird lediglich vorgegeben oder versatzstückartig eingeblendet (z.B. die wirklich gelungenen altägyptischen Sätze in Stephen Sommers' Mumienfilmen, denen reine Erfindungen eines Pseudoägyptischen in ein und dem selben Spielfilm gegenüberstehen!). Gerade Hollywood mit seinen scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten bedient sich der reichen Geschichte Altägyptens aus einem Grund: um sein Produkt an den zahlenden Kunden zu bringen. Das "wahre" Ägypten ist längst entschwunden.

Soll man die aktuelle Grundstimmung bedauern? Nach der langen Geschichte des Ägyptenfilms sollte man es - vielleicht. Doch der Ägyptenfilm hat sich als unverwüstlich erwiesen. Naiv ausgedrückt, werden andere Zeiten andere, vielleicht sogar wieder bessere Ägyptenfilme bringen. Solange man sich heute der negativen Aspekte bewußt bleibt, darf man aber eines durchaus: sich durch ein gut gemachtes Stück Popcorn-Kino unterhalten lassen...

 

© Christine Fößmeier